Claus Peymann und die „Wiener Burg“ – Österreichische Hochkultur versus künstlerischer Anarchismus mit Kulturauftrag“

von Christian Pobatschnig

Theater ist Aufstand. Claus Peymann und das deutsche Theater – die perfekte Liaison! Die Stimme der Entrüstung ist am Wort. In Wien bläst mit Peymann rauer Theaterwind. Sein Credo: „Theater hat staatsfeindlich, also menschenfreundlich zu sein!“. Die Rhetorik eines heillosen Romantikers und Brecht-Verehrers mit militantem Akzent. Kein künstlerischer Revolutionär. „Es gibt keine Regeln für Fantasie!“ (Peymann von A-Z) – „Leben im Hier und Jetzt!“ – Schlachtruf eines Theatersteppenwolfs. Der Inhalt macht Revolution!

Volle Kraft voraus! 1937 in Bremen geboren, verliert sich Claus Peymann als junger Deutscher schnell in der Widersprüchlichkeit seiner Zeit und tendiert nach Links. Journalist möchte Peymann werden. Neben seinem Hauptfach Germanistik belegt er Seminare in Philosophie, Soziologie, Afrikanistik und Theaterwissenschaft. Die „Studiobühne an der Universität Hamburg“ wird für ihn zur künstlerischen Übergangsheimat, zum Ventil jugendlicher Träumerei. Er sieht das Kommen des „engagierten, gesellschaftskritischen Theaters“, und ist dabei! Im „JETZT“ liegt die Sprengkraft seiner Weltsicht und die gibt er stets und gern zum Besten. Die
Konfrontation hat er nie gescheut, eher gesucht. Das Theater hat er als Forum gegen die Eliten und für die Gesellschaft gesehen.

Wiener Vorspiel!

Achim Bennings „Amtszeit“ als Direktor am Wiener Burgtheater neigte sich dem Ende, (1976 bis 1986) die Nachfolgersuche startete im Jahre 1984. Die Diskussion um den nächsten Burgtheaterdirektor wurde vom damals noch jungen Kunst- und Unterrichtsminister Helmut Zilk und seiner Konsulentin Ursula Pasterk geführt. Ursula Pasterk zückte während des Verhandlungsmarathons sämtliche Register und beförderte den „Bochumer“ (noch Intendant am Schauspielhaus Bochum) Peymann putschartig an die Spitze der Kandidatenliste. Die Angebote deutscher Theaterbetriebe blieben aus, der Weg nach Wien war logische Konsequenz und, wer weiß, schicksalhafter Wink.

Ankunft am Theaterolymp?

Die Institution Burgtheater, „inmitten eines staatspolitischen Ensembles, … also im „historischen Epizentrum der Macht!“1, und seine gesellschaftliche Strahlkraft wurden selten unterschätzt. Das Burgtheater war gleichbedeutend mit einem „Rednerpult auf dem Wiener Heldenplatz, dass also zwischen dem öffentlichen Sprechen eines Politikers und dem öffentlichen Sprechen eines Schauspielers, insbesondere eines Burgschauspielers, wenig Unterschied gemacht wird.“2 Peymann war gerüstet. Er verstand es wie kein anderer „die Wiener Burg-Bühne“, in seiner historisch gewachsenen „politischen“ Bedeutung, als Schaubühne gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen in Österreich zu nutzen. Peymann war sich der österreichischen Mentalität bewusst. Seine Verehrung galt der zeitgenössischen Gesellschaftskritik – Kritik wie sie Österreich dringend bedurfte!

Ein Dichter und sein Regisseur –
Skandalauftakt mit Konzept

Peymann stellt Forderungen, Bernhard stellt die Weichen. Am 19. März 1984 gibt Helmut Zilk bekannt: „Claus Peymann wird Burgtheaterdirektor“. Thomas Bernhard, in Peymann seinen kongenialen Kunstvollstrecker gefunden, macht sich an die Arbeit. 1984 erscheint sein Roman „Holzfällen“, der wegen angeblich beleidigender Passagen beschlagnahmt wird. Der anstehende Antritt des neuen Burgtheaterdirektors wird im Buch amüsant thematisiert. Das Spannungsverhältnis zwischen österreichischem Kunstverständnis und dessen neuem Vermittler, wird „plakativ beschworen. „Der neue Mann kann tun was er will, er ist, indem er seinen Vertrag unterschrieben hat, … ein toter Mann“. („Holzfällen“, T. Bernhard, S. 278) „Frischer Wind“ also, der „aus dem Burgtheater alles Fürchterliche, Abgestandene, längst Tote, also alles mit den Jahren
nur noch widerlich und abstoßend und ganz einfach scheußlich Gewordene aus dem Burgtheater hinausblase“;… und dass „einer der besten Theaterleute in das Burgtheater einziehen werde, ein deutsches Genie, ein deutsches Theatergenie ersten, ja allerersten Ranges, … ein Theaterbesessener erster Klasse, … ein Theaterberserker hätten die Zeitungen geschrieben, ein elementarer Theatermensch, wie ihn das Burgtheater seit Hundert Jahren nicht mehr gesehen habe, ziehe in das Burgtheater.“ („Holzfällen“, S. 274, 275) Bernhards Skizze „Holzfällen“ begleitete den Antritt „seines“ Regisseurs und sollte als Andeutung einer skandalträchtig-amüsanten Theaterzeit verstanden werden.

Thomas Bernhard inszenierte Peymanns Antritt und machte ihn also zur Figur seiner Literatur. Bernhard war nicht selten Drangsalierer Peymanns und dessen dominanter Schatten. Die „Notlicht-Affäre“ („Der Ignorant und der Wahnsinnige“, Salzburger Festspiele 1972) versetzte in der Folge Regisseur wie Autor in kämpferische Alarmbereitschaft und entzündete „den ersten von vielen Theaterskandalen, den Bernhard entfachte und Peymann schürte“.3 Spätestens nach dem Eklat in Salzburg „wusste Peymann, wo`s weh tat: da, wo Bernhard ist.“4 Der inthronisierte Burgtheaterdirektor und sein literarischer Wegbereiter schworen sich auf eine spannende Theaterrevolte ein. Im Bernhard-Dramolett „Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“ (Erste Szene, S. 10), packt „Fräulein Schneider“ akribisch, Peymanns Koffer: „Ich schichte die Dramaturgen zuerst in den Koffer / Ihre Hemden lege ich sorgfältig darauf / Ihre WEIßE WESTE HERR PEYMANN ganz oben“ … Bernhards burleske Andeutungen, Peymanns Charakter betreffend, lesen sich als
Zusätze äußerst vergnüglich und steuern ein weiteres Mosaik zum Gesamtbild des bockig munteren Theatermachers bei.

Im Sommer 1985 (17.8.1985) gab Bernhards Theatermacher (eine Abrechnung mit der Theaterwelt) bei den Salzburger Festspielen (Uraufführung) einen weiteren kleinen Vorgeschmack dessen, was Wien in der Peymann-Ära künftig zu erwarten hätte. Gegenwehr setzte reflexartig ein. Franz Vranitzky, damals Finanzminister und künftiger Bundeskanzler, empörte sich über Bernhards Stück. „Man ließe sich nicht durch einen „verschmierten Spiegel“ einen nationalen Minderwertigkeitskomplex einreden“.5 Vranitzky forderte ein Ende der Provokation.

Herbst 1986: Peymann war hier: Auf in die Schlacht!
Amtsantritt – „Der Theatermacher“

Er kam, schrie und siegte! Claus Peymann war nun gefordert seinem Gesinnungsgenossen und Freund den Rücken zu stärken. Plakativ eröffnete Peymann am 1. September 1986 mit dem Theatermacher seine Direktion. „… Trostlos / Absolute

Kulturlosigkeit / trostlos …“ empört sich Bruscon über die Ausstattung der „Spielstätte“ seiner Theatertournee. In Bruscon, einem Bernhard-Tyrann par excellance, konstruierte Bernhard eine alles beherrschende Figur, und prophezeit dem künftigen Burgtheaterdirektor künstlerische Schreckensjahre in Wien: „Wir gehen auf eine Tournee / und gehen doch nur in eine Falle / sozusagen in eine Theaterfalle.“ („Der Theatermacher“, S.16) Österreich war die Herausforderung seines Lebens, die er als Chance zu nutzen verstand. Peymann sieht`s gelassen, mit Bernhards Worten: „… also packen Sie alles ein / … vor allem ein erstklassiges Solinger Messer / zum Abstechen dieser österreichischen Schweine.“6 Das Ensemble am Wiener Burgtheater zeigte sich im Angesicht der anstehenden „deutschen Besatzung“ kämpferisch und fürchtete um ihre Naturgewachsenen Privilegien. Peymann war unbeliebt, aber nicht Erzfeind. Namhafte Schauspieler, darunter Klausjürgen Wussow oder Fritz Muliar verabschiedeten sich vorsorglich. Privilegienabbau und juristische Entflechtung des Klauseldickichts standen ganz oben auf der Liste der Aufräumarbeit. Zum Thema Burgschauspieler stellt die Figur Peymann im Bernhard-Dramolett „Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“ (Zweite Szene) fest: „… die werden wir jetzt wohl beschäftigen müssen / ich weiß noch nicht wie / Wahrscheinlich stopfe ich sie alle in einen großen Shakespeare / die sind ja alle wie Dörrpflaumen / die ins Wasser geworfen gehören.“7 Die Stimmung im Ensemble war gereizt, das mitgebrachte Theaterkonzept Peymanns war noch zu verhüllt um dem „Piefke“ über den Weg trauen zu können. Mit gerade mal 17 Neuengagements zog Peymann in das ehrwürdige Haus am Ring dann „endgültig“ ein. – (Klaus Bachler/1999 – 25 Neuengagements!)8

Der Anarchist Peymann –
Zur Person

Konflikte hat er nie gescheut. Im Konflikt liegt für ihn das Potential der Kunst. Ein philosophischer Pyromane mit Kulturauftrag. Aufruhr, Reibereien, persönliche Zerwürfnisse und Kontroversen um seine Person und sein Arbeitsverständnis pflastern den beruflichen Weg des deutschen „Theatergenies“. Manchmal war es schnöde Polemik, aber dann doch wieder ernsthafte Anklage mit dem Verdacht auf grob fahrlässigen künstlerischen Dilettantismus, beides verlieh seinen Attacken Kontur. Als Regisseur und Brecht-Verehrer sah er sich seiner inneren Stimme verpflichtet und verschaffte ihr Gehör wo immer möglich. „Das Mundwerk war stets Teil von Peymanns Handwerk“.9 Dennoch, er war und ist kein „Feierheini“, eher ein Kunstversessener Perfektionist, ein Steppenwolf des deutschen Theaters, ein Anarchist mit Konzept! Ein flatterhafter, launisch sensibler Kunstverehrer stets begleitet von seinem gnadenlosen Selbstinszenierungswahn. Sich selbst schuf er die monumentalsten „Bühnen“, seine Wiener Direktion war die wohl imposanteste (Dank Bernhard). Seiner rabiaten Paranoia lag dennoch ein scharfsinniger Geist, ein geschliffener Intellekt zugrunde. Fundamentale Kritik heftete der knorrige Nonkonformist überall dort an die Wand, wo er Theatermief witterte. Ein meckernder Pifke eben, der sagte was er dachte. Der Rest der Theaterwelt interessierte ihn nur soweit, als sie für seine Skandalexzesse verwertbar waren. Kurz um, ein intellektueller Narr mit unendlicher Abenteuerlust.

Der präzise Deuter und sein „Freund“!

Vielleicht hat er Thomas Bernhard besser gekannt als je ein anderer Mensch?! Verstanden auf jeden Fall. Peymanns Bernhard-Deutung war von scharfsinniger Brillanz. Er verstand die Welt Bernhards, wenn auch anfänglich die Faszination an der „Verkehrtheit“ dieser Welt überwog. Von „Frost“ ergriffen, „überfiel Claus Peymann kurzerhand den ihm unbekannten Autor in Ohlsdorf“. Peymann schildert sein erstes Eintauchen in die Welt Bernhards folgendermaßen: „Als ich bei der „Asamerin“ (Ohlsdorf, Bernhard war zuhause nicht anzutreffen) saß, hatte ich das Empfinden, mitten in den Roman „Frost“ hineingeraten zu sein. Die Atmosphäre, der Schummer, die Gerüche. Auch die Wirtin: Original „Frost“! Genau die wundervolle Stimme, die Bernhard im Buch beschreibt. … Diese Welt nahm mich sofort gefangen, indem sie mich auch frösteln machte, es geschah etwas so Gegensätzliches zu meiner eigenen Welt“.10 Diese Beschreibung dokumentiert anschaulich, welch schlichte Dominanz im Werk Bernhards wurzelt. Neben Bernhard verstummte das Teutonische Rhetorikgewitter à la Peymann. Der natürlichen Souveränität Bernhards hatte jede Eitelkeit zu weichen. Peymann trat zurück. Außer im Theater. Dort behielt er das Zepter in der Hand. Als Uraufführungsregisseur verwandelte er wie kein anderer die „philosophierenden Dramen“11 Thomas Bernhards in epochale Zeitdokumente. Peymann erkannte schnell die Brillanz der Texte Bernhards. Die künstlerische Munition Bernhards einerseits, die ausgereiften Strategien des routinierten Skandalvirtuosen Peymanns und dessen enormer Sachverstand andererseits waren in Ihrer Wirkung hinreißend direkt, roh und unnachgiebig. „Beide trafen sich in Ihrer Liebe zur Deutlichkeit“.12 Reduktion und Übertreibung als Rahmen der Anklage. Neue, noch unveröffentlichte Stücke durfte Peymann als erster begutachten. Der Regisseur wurde zum Freund, wenn auch zu den Konditionen des Dichters. Bernhards ambivalentes Verhältnis zum Theater und seinen Schauspielern drückte sich auch im Umgang mit deren Regieführenden aus.

Die Burgjahre – ein Lebensabschnitt!
„Geglückte und kreative Direktion“

Peymann trat an als Kompromissloser Avangardist. „Dieses Wien ist ja im wahrsten Sinne des Wortes eine Kunstmühle, tatsächlich ist es die größte Kunstmühle der Welt, in welcher jahraus, jahrein die Künste und die Künstler zermahlen und zermalmt werden, ganz gleich, was für Künste, ganz gleich, was für Künstler, die Wiener Kunstmühle zermalmt sie in jedem Falle immer total“. („Holzfällen“ S. 280) Aufgestauter Pathos drohte die Kunst an der Burg zu ersticken. Peymann wollte Gesellschaftskritik nach Brecht üben. „Kunst darf eine Stadt trennen, muss sie polarisieren! Ein Theater, das weder durch seine Aufführungen noch durch seine Personen im Gespräch ist, ist tot! – Theater gehören in die Öffentlichkeit, müssen diskutiert werden!“13

Das Burgtheater fungierte zu lange als Lustgarten einer Elite, erschlich sich auf listige Weise den Status eines pompösen Theatertempels. Ein Refugium für Hochkultur, das (fast) nur den Interessen des Adels diente. (Exkurs: „Bürgerliches Trauerspiel“) Peymann entrümpelte das Burgtheater, brach mit seiner obsoleten Aura. Peymann bedeutete Zäsur! Sein Theaterverständnis begeisterte zunehmend das jüngere Publikum und verwandelte den einst frostigen Ort der Hochkultur in ein Forum der Auseinandersetzung. „… Allen Leuten die jemals hier hereingegangen sind ist an der Garderobe der Kopf abgenommen worden.“ („Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“) Theater muss nicht nur bewegen, es muss bunt sein, erregen, muss erschüttern und betroffen machen. Peymanns Direktionszeit war, wie keine andere, dieser Programmatik verschrieben. Der Erfolg gab ihm Recht. In Peymanns Theaterkonzeption war Platz für Pluralismus. Klassische aber auch zeitgenössische Stücke standen auf dem Spielplan. Handke und Bernhard waren seine Favoriten. Peymanns Inszenierungen waren kontrovers, auf Konflikte angelegt. Als Kapitän dieser Wiener „Theater-Titanic“ brachte es Peymann auf stattliche 22 Inszenierungen (+5 Übernahmen).

„Knall mit Folgen“ – Das ZEIT-Interview!

„Ich bin ein Sonntagskind“ (Andrè Müller), so der Titel des Zeit-Interviews, das am 26. Mai 1988 erschien. Ein Raunen ging durch Österreichs Polit- und Kulturprominenz. Peymann holte aus und plauderte frisch von der Leber weg. Über seine Zurückhaltung zum Thema Waldheim gab er sachlich zu bedenken: „…weil es ihm nur nützen würde, von einem, der politisch links steht, beschimpft zu werden. Aber in (meiner) Arbeit bin ich auf das Thema schon eingegangen.“14 … zum Thema Auszeichnungen: „…der Staat hat nichts auszuzeichnen, weil er von Kunst nichts versteht!“ … Seinen trotzigen Ergüssen auf die Fragen von Andrè Müller, vor allem zum Thema Burgtheater („was für eine Scheiße ich am Burgtheater erlebe“), folgte ein Misstrauensantrag der Ensemblevertretung und des Betriebsrates. Rücktrittsforderungen standen im Raum. Entschuldigungen wurden gefordert. In einer „Grundsatzerklärung“ Thomas Bernhards, mit dem Titel „Um was es geht“, diktierte Bernhard Peymann die Offensive. „Hinter dem Begriff Misstrauen verberge sich … Fremdenhass, Nationalismus, ja kläglicher Konkurrenzneid“. … das Ensemble sollte sich nicht „in einem verheerenden Rückschritt verrennen, sondern durchschauen, um was es wirklich geht. Mitarbeit ist willkommen, Quertreiberei nicht!“ Ein Theaterskandal war auf seinem Zenit.

Theater als Flächenbrand –
Das Ende einer perfekten Inszenierung

Die entscheidende Auseinandersetzung im Peymann-Bernhard-Burgtheater-Konnex folgte mit Bernhards letztem Stück „Heldenplatz“. Einen Hinweis auf Heldenplatz lieferte Bernhard bereits in seinem Dramolett „Claus Peymannm kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“; „Peymann“ amüsiert sich über „das tollste Theater der Welt, … die tollste Komödie aller Zeiten / ist Österreich / kein Theaterstück der Welt kommt an dieses heran / und die Österreicher selbst haben diese tollste Komödie / aller Zeiten inszeniert / die totale Volkskomödie ist Österreich / die totale Volkskomödie / Kein Schriftsteller Sie eingeschlossen mein lieber Bernhard / hätte diese tollste aller Komödien schreiben / kein Regisseur mich eingeschlossen / jemals inszenieren können / und dieses Österreich als Bühnenbild / … Wahrscheinlich ist dieses Österreich / die einzige die totale Weltkomödie Bernhard“. (S. 41, 42) Ganz Österreich ist Theater. Das „Katholische“, hat eine tragische Dominanz im großen „Weltstück“. Der „katholischen Verhaderungspolitik“ geht es an den Kragen. Die provinzielle „Kuhfladenpolitik“ schafft ein politisches Minenfeld dem man sich am besten zur Gänze entzieht. Beiden gefällt die Demontage einer Hülle, die das Gegenüber (noch immer) als Identität hochhält. An Deutlichkeit fehlt es nicht. Bernhard wie Peymann haben die Rolle der Entrümpler bereitwillig gespielt, ja gelebt. Beide waren Grenzgänger mit Todessehnsucht. Den künstlerischen Abgrund reden beide herbei um noch einmal kräftig auf den Tisch hauen zu können. Verlust oder Schaden sind keine Kategorien in denen wahre Künstler denken. Peymann selbst: „Ich glaube an die Erziehung durch Kunst!“

Die Abrechnung

Heldenplatz war in der Folge die „totale“ Abrechnung mit einem Weltbild das grotesker nicht hätte sein können. Die historischen Belege waren drückende Beweise der österreichischen Ignoranz und Selbstherrlichkeit. „Heldenplatz“ war Bernhards Schlussstrich. Er zog sich, in der Vorahnung des baldigen Todes, aus der österreichischen „Affaire“ mit stillem Jubel zurück. Claus Peymann verlor einen teuren Wegbegleiter. „Im Chronikteil der WELTKOMÖDIE ÖSTERREICH ist ein Text von Hermann Beil Aus unserem Burgtheatertagebuch abgedruckt. Über den Tod Bernhards hält Beil fest: … Wehmut, stille Trauer, zorniges Nichtwahrhabenwollen und auch Wut gegen die Ignoranten, vor allem aber Dankbarkeit für ein gewaltiges poetisches Werk – alle diese Gefühle durchdringen das Haus (Burgtheater) wie ein großes Herzklopfen. … Heldenplatz ist heute wie ein Requiem, wie eine Totenmesse, die der Dichter für sich selbst geschrieben hat. … Jeder spürt es, jeder fühlt es, Bernhards Stück ist so wahr und wahrhaftig wie nie“.15

13 Jahre Burgtheater! – Und der Traum lebt weiter!

„Kein Buh, kein Pfiff, keine Entladung einer letzten grausamen Emotion. Die Wiener klatschen sich in eine sonderbare Traurigkeit. 13 Jahre Burgtheater gingen mit einer theatralen Implosion zu Ende (1999). … die Schlacht um Wien war … an ihr Ende gekommen.“16 Peymanns Traum lebt dennoch weiter: „Seit mehr als zweihundert Jahren gibt es die Idee Burgtheater, seit mehr als zweihundert Jahren wird um diese Idee gekämpft und gestritten, seit mehr als zweihundert Jahren wird von Theaterleuten und Zuschauern diese Idee immer wieder neu geträumt. Vielleicht liegt all dem eine tiefe, große Sehnsucht zugrunde, die Sehnsucht nach einem ganz anderen Zustand, der Traum von einem ganz anderen Leben, einem Leben in Poesie, … und dieser Traum beherrscht wohl jeden, der sich, wo auch immer, an eine Bühne, an die Literatur, ans Spiel hingibt: Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen schwarzgoldene Augen haben, sie werden die Schönheit sehen, sie werden vom Schmutz befreit sein und von jeder Last … es wird eine größere Freiheit sein, sie wird über die Maßen sein, sie wird für ein ganzes Leben sein …“17

1 Koberg Roland, „Claus Peymann – Aller Tage Abenteuer“, S. 271, 272, 1999, Henschel Verlag Berlin
2 Koberg Roland, „Claus Peymann – Aller Tage Abenteuer“, S. 266, 1999, Henschel Verlag Berlin

3 Honegger, Gitta, „Thomas Bernhard – Was ist das für ein Narr?“, S. 172, 2001, Propyläen Verlag
4 Koberg Roland, „Claus Peymann – Aller Tage Abenteuer“, S. 266, 1999, Henschel Verlag Berlin
5 Koberg Roland, „Claus Peymann – Aller Tage Abenteuer“, S. 275, 1999, Henschel Verlag Berlin
6 aus dem Dramolett: „Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“
7 Bernhard, Thomas, „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“, Drei Dramolette,
Verlag Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1990
8 Koberg Roland, „Claus Peymann – Aller Tage Abenteuer“, S. 280, 1999, Henschel Verlag Berlin
9 Schütt, Hans-Dieter, PEYMANN von A-Z, S. 6, 2008, Verlag Das Neue Berlin, Berlin
10 Schütt, Hans-Dieter, PEYMANN von A-Z, S. 90, 2008, Verlag Das Neue Berlin, Berlin
11 Meyerhofer, Nicholas.J., Köpfe des 20. Jahrhunderts – „Thomas Bernhard“, S. 59, 1985, Colloquium
Verlag Berlin
12 Koberg Roland, „Claus Peymann – Aller Tage Abenteuer“, S. 120, 1999, Henschel Verlag Berlin
13 Profil – 52/53 vom 21. Dezember 1998, S.137
14 Schütt, Hans-Dieter, PEYMANN von A-Z, S. 242, 243, 2008, Verlag Das Neue Berlin, Berlin
15 Dermutz, Klaus, Bachler, Klaus „Das Burgtheater 1955 – 2005 – Die Weltbühne im Wandel der Zeiten“,
S. 242-244, Zsolany Verlag Wien, 2005
16 Dermutz, Klaus, Bachler, Klaus „Das Burgtheater 1955 – 2005 – Die Weltbühne im Wandel der Zeiten“,
S. 243, Zsolany Verlag Wien, 2005
17 Schütt, Hans-Dieter, PEYMANN von A-Z, S. 222, 2008, Verlag Das Neue Berlin, Berlin

Informationsökonomie im Herbst des Kapitalismus – Eine Beziehung muss neu definiert werden!

Der Kapitalismus ist in die Jahre gekommen. Was ihn alt aussehen lässt und wie die Chancen auf ein dezentes Comeback stehen?

von Christian Pobatschnig

Harte Zeiten sind angebrochen. Mitten im Jubeltaumel einer euphorischen Wohlstandsgesellschaft mischt sich plötzlich Ratlosigkeit, Schock, gar Angst!? Der Stier hat plötzlich seine Zähne gezeigt. Die letzten 50 Jahre haben wir ein „Tier“ gefüttert, ihm unsere Sorgen anvertraut und uns Wohlstand und Luxus erbeten. Die Enttäuschung ist groß, entpuppt sich der domestiziert geglaubte Paarhufer nun als wild gewordener Bulle. „An die Leine mit Ihm“, schreien nun die eifrigen Stalljungen.

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Der Schein trügt!

Die Gesellschaft durchwandert eine moralische Tiefebene. Die folgenschwerste Krise nach 1929 suchte in den letzten Wochen unsere Welt heim und dabei stellte sie nicht nur ein System in Frage. Aus einem virtuellen Werteverfall wurde eine Vertrauenskrise größten Ausmaßes. Die Fragilität eines Systems wurde schamlos entblößt. Der Konsum, als Öl im Getriebe des Kapitalismus, wird allerorts beschworen und das System zeitgleich in seiner augenblicklichen Verfasstheit als trotzdem bewährt und vertrauenswürdig gelobt. Auf höchstem politischen Parkett wird gnadenlos Schadensbegrenzung und Verdammung in einem Atemzug betrieben.

1929 trieb die „Mutter aller Krisen“ ihr Unwesen. Die Wirtschaft brach in allen Industrienationen zusammen. Der erste Dominostein fiel am 24. Oktober 1929 in New York. Eine unglaubliche Berg- und Talfahrt an den internationalen Börsen und Massenarbeitslosigkeit waren die Folge. Turbulenzen auf dem internationalen Finanzmarkt erleben wir dieser Tage ebenfalls. Die einen sprechen als unausweichliche Folge vom „Comeback des Staates“, die anderen flüchten sich in Differenzierungen, sprechen aber nach wie vor von einer Notwendigkeit des „freien Spiels der Kräfte“. Der liberale Leitspruch: Der Staat hat sich tunlichst aus den Heiligen Hallen des Kapitalismus fernzuhalten, wird wohl in Zukunft weniger oft zu hören sein. Welches Gesicht der Kapitalismus nach den Turbulenzen haben wird, wird sich zeigen. Die Krise geht zu Lasten hochmütiger Hasardeure mit Spielermentalität und einer unfähigen Finanzaufsicht die längst den Überblick am Spieltisch verloren hat. Aber welche Rolle spielen eigentlich bestehende Infrastrukturen wie Internet und Konsorten? Haben Informationstechnologien den Crash beschleunigt oder vielleicht erst möglich gemacht?

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Die Strukturen eines Systems
Begriffserklärungen

Die Folgen des entfesselten Kapitalismus haben etwas Monströses. Das kränkelnde Monster „Finanzkapitalismus“ steht am Pranger. Und das zu recht. Doch welche Entwicklung brachte es überhaupt dort hin?

Die Informationsindustrie erlebte in der nachindustriellen Gesellschaft einen enormen Bedeutungszuwachs. „Diese Aufwärtsentwicklung des Informationsbereichs kann man als Triumphzug des Menschen zur Zivilisation des Geistes, aber genauso auch als ein Ersticken an Komplexität, als Versinken im Treibsand der Bürokratie interpretieren.“  Karl Marx beobachtete die Entwicklungen der aufstrebenden Wirtschaftsmentalität bereits zu Beginn des 19. Jhdts mit großer Aufmerksamkeit. Den Gedanken der Globalisierung im Sinn bemerkte er: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel …“ . Dementsprechend war die Suche nach neuen Absatzmärkten auch eine Suche nach neuen politischen und gesellschaftlichen Formationen. Eine Überbrückung gesamtgesellschaftlicher Differenzen musste vollzogen werden um die Visionen einer „Weltgesellschaft“ und „Weltwirtschaft“ wahr werden zu lassen. Nicht nur räumliche Distanzen galt es zu überwinden, … Wesentlichen Innovationen im Bereich der Informationstechnologie verdankte man von nun an die globale Reichweite.

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Auf dem Spielfeld des globalen Marktes brauchte es globale Regeln. Die Formulierung dieser Regeln war der nationalstaatlichen Oberhoheit entzogen. Der neue globale „ökonomische Raum“ war nach der Logik des Marktes strukturiert. Informations- und Kommunikationstechnologien waren und sind das „zentrale Element“ des globalisierten Kapitalismus. Joseph Stieglitz, ehemaliger Chefökonom der Welt und Nobelpreisträger umriss das globalisierte Treiben ähnlich: „Globalisierung ist die engere Verflechtung von Ländern und Völkern der Welt, die durch die enorme Senkung der Transport- und Kommunikationskosten herbeigeführt wurde, und die Beseitigung künstlicher Schranken für den ungehinderten grenzüberschreitenden Strom von Gütern, Dienstleistungen, Kapital, Wissen und Menschen.“  Neben Warenströme fließen über internationale Verflechtungen auch voluminöse Finanzströme mit wachsendem Tempo.  Der Standard titelte in einer seiner Ausgaben dieser Tage: „Die Krise und das „pöse Internet“ . Auf der Suche nach Sündenböcken für die Finanzkrise ist auch das Internet in den Kreis der Verdächtigen geraten.“ Das World Wide Web revolutionierte nicht nur zwischenmenschliche Kommunikation sondern trat durch seine außerordentlich hohe Effizienz seinen Siegeszug auch als Wirtschafts- und Finanzmanagementtool an. Die komplexe Finanzarchitektur wurde mittels mathematischer Auswertungsmethoden auf leistungsfähigen Softwaresystemen verwaltet. Damit verbunden war ein Anstieg der Produkt-Komplexität und der Unüberschaubarkeit am Finanzmarkt. „Das globale Finanzsystem wird durch die Technologie der New Economy in atemberaubendem Tempo beschleunigt, während die weltweiten Regulierungssysteme und Bürokraten noch immer im Analogzeitalter hängen“, schimpfte die selbstbewusste Branche. Liberale Theoretiker nahmen den „Staat“ höchstens noch als interessierten Zaungast wahr. Im „freien Markt“ begann es zu wuchern. Das Dickicht im Produktjungel begann unüberschaubar zu werden. Im Zuge der anstehenden Regulierungsmaßnahmen wird auch eine neue Generation von Trading-Programmen notwendig sein um Geschäftsabläufe und Hintergründe transparenter zu machen.

1 Danzin, Andre M., Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Informationstechnologien, München-Wien 1978, R. Oldenbourg Verlag
2 Baier, Walter, Prinzip Ent-Täuschung – Von den großen Erzählungen zur neuen Sprache der Politik, VSA-Verlag, Hamburg 2007, S. 66
3 Der Standard, 15./16. November 2008, Rubrik „Medien“ – Anhang

Was hinterlässt Amerikas „War-President“? George W. Bush vor Gericht?

Juni 11, 2008 1 Kommentar

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Die Burg – kulturelles Gedächtnis einer Nation! „Heldenplatz, die totale Geschichts-Komödie!“

Juni 9, 2008 3 Kommentare

Thomas Bernhard und das Burgtheater. Provokation kennt keine Grenzen! – Genialität kennt keine Grenzen!

von Christian Pobatschnig

Die Nähe zur Macht schafft Identität. Das „ehrwürdige Haus“ am Wiener Ring avancierte bereits in den Gründertagen um 1740 zum renommierten Staatstheater im Dienste der Habsburg-Aristokratie. Als Wiener (Hof)-Burgtheater „behielt es stolz den Namen bei, der nicht nur die frühere symbiotische Beziehung zwischen Hof und Bühne bezeichnete, sondern auch seine gegenwärtige Funktion als Ersatz für imperiale Macht und Zeremonie, eine majestätische Schaubühne historischer Simulation“ ; so beschreibt Gitta Honegger die Relation zwischen Kunststätte und politischer Aktionsbühne.

Stefan Zweig schreibt aus seiner Emigration in Brasilien über den Mythos Burgtheater:

„ … der erste Blick eines Wiener Durchschnittsbürgers in die Zeitung galt allmorgendlich nicht den Diskussionen im Parlament oder den Weltgeschehnissen, sondern dem Repertoire des Theaters, das eine für andere Städte kaum begreifliche Wichtigkeit im öffentlichen Leben einnahm. Denn das kaiserliche Theater, das Burgtheater war für den Wiener, für den Österreicher, mehr als eine bloße Bühne, … es war der Mikrokosmos, der den Makrokosmos spiegelte, der bunte Widerschein, in dem sich die Gesellschaft selbst betrachtete. … die Bühne war statt einer bloßen Stätte der Unterhaltung ein gesprochener und plastischer Leitfaden des guten Benehmens; … Der Ministerpräsident, der reichste Magnat konnte in Wien durch die Straßen gehen, ohne dass jemand sich umwandte; aber einen Hofschauspieler, eine Opernsängerin erkannte jede Verkäuferin und jeder Fiaker … . Im Burgtheater gespielt zu werden, war der höchste Traum jedes Wiener Schriftstellers, weil es eine Art lebenslangen Adels bedeutete, … man war eben Gast in einem kaiserlichen Hause geworden.“

Kunst laut „Protokoll“

Wien als Residenzstadt der Donaumonarchie, hatte explizite Repräsentationsfunktion und musste seiner kulturellen Bedeutung Ausdruck verleihen. Die „Burg“, vormals der Hofburg angeschlossen, wurde zur Manifestation dessen, was kulturpolitisch dem monarchischen Willen entsprach. Kein anderes Haus mit öffentlichem Charakter, hatte im Wien der Habsburger eine gleichermaßen zentrale kulturpolitische Relevanz und gesellschaftliche Filterfunktion wie das Wiener (National)Burgtheater.

Die monarchische Kulturagenda

Das Theater funktionierte als lebender Organismus, kollektives Gedächtnis und sensibles Instrument der Volkserziehung im aufkeimenden bzw. prosperierenden Revolutionsklima. Das klare Bekenntnis zur österreichischen Tradition und Identitätsbildung im Sinne eines spezifischen Deutschtums, waren bildungspolitischer Auftrag. „Zensur wo nötig, Freiheit wo möglich!“ Getreu dieser Maxime agierte die Habsburg-Aristokratie mit dem primären Fokus auf Selbsterhalt. Den sensiblen „Organismus Burgtheater“ galt es zu hegen und zu pflegen. Die Postmonarchische Kulturpolitik versprach Kontinuität.

Auf der Suche nach Identität

Der zum innereuropäischen Kleinstaat geschrumpfte „Geist Österreichs“ rang um seine kulturelle Bedeutung im europäischen Kontext, den „das Habsburger Erbe zeigte sich weiterhin in einer neurotisch klassenbewussten Nachkriegsgesellschaft.“ Die nationalsozialistische Okkupation, vom offiziellen Österreich stillschweigend begrüßt, wurde schlicht hingenommen und traf auf so gut wie keinen Widerstand. Damit war das opportunistische Ungetüm geboren. Das jubelnde Wien am Wiener Heldenplatz im Jahre 1938, wurde zur Manifestation einer wahnsinnig gewordenen Realität. Ja und Amen wenn`s hilft! Getrieben von Abgrenzungslust bastelte das neue, im Herzen jedoch noch alte „Österreich“ nach 45` an seiner politischen Identität. Monarchische Altlasten, katholischer Färbung, wurden zu Grundpfeilern der neu installierten „demokratischen“ Republik Österreich.

Die Bühne als Aktionsraum

Dem österreichischen Kunstbetrieb bescherte dieser eher konturlose Selbstfindungsprozess produktive Jahrzehnte. Polit- und Wirtschaftsskandale in den 70er und 80er Jahren trieben den Prozess voran. Die Waldheim-Affaire, beflügelte Mitte der 80er internationale Diskussionen. Seine NS-Vergangenheit nötigte Österreich, sich mit seinen dunklen Flecken auseinanderzusetzen. Das schlummernde Österreich agierte jedoch nur widerwillig. Ausländische Vorwürfe und die Entscheidung der USA, Österreich auf die „Watchlist“ zu setzen, ramponierten Österreichs Image nachhaltig. Die europäische „Skandalrepublik“ stand am Pranger.

Die „Burg“ setzt Akzente

In der Funktion als Gedächtnis der Nation und mahnendes Forum folgte auf die innerösterreichische Debatte ein klares Statement der höchsten Wiener Kulturinstanz.

In regelmäßigen Abständen Austragungsort und Schauplatz innerösterreichischer Kulturdifferenzen, holte das Wiener Burgtheater, unter der Regentschaft Claus Peymanns, zu seinem wohl couragiertesten Kunstakt aus. Es übernahm die Schirmherrschaft für die spektakulärste künstlerische Amtshandlung des postmonarchischen Kulturbetriebes. Geistiger Urheber des politischen (Skandal)-Kommentars, mit höchster Skandalqualität in Form des Stückes „Heldenplatz“, war Thomas Bernhard.

1988 – Der „Holocaust wird ausgegraben“

Österreich ist Theater. Wien ist Bühne! 1988, war das Jahr der Gedenkfeierlichkeiten des Anschlusses Österreich an Hitlerdeutschland, und das 100-jährige Bestehen des Burgtheaters; eine bizarre Umrahmung der Ereignisse rund um die Uraufführung des Stückes „Heldenplatz“. Als Claus Peymann 1986 (Waldheim wird Bundespräsident und Jörg Haider tritt als populistischer Oppositionsführer auf), sein Amt am „ehrwürdigen Hauses“ antrat, prognostizierten manche bereits im Vorfeld eine turbulente Spielzeit. Claus Peymann „glaubte an die kulturverändernde Macht des Theaters“ . Peymann und das „ehrwürdige Haus“ waren Forum und Basis für Bernhard`s Attacken, sowie „einer Konfrontationskulturpolitik“ im größeren Sinn. Das Stück „Heldenplatz“, mit seiner nüchtern-tragischen Programmatik, traf den gesellschaftlichen Nerv und zwang das offizielle Österreich zur Reaktion. Thomas Bernhard und Claus Peymann ließen „Österreich“ nicht nur mit dessen Spiegelbild allein, sondern ließen das Stück in seiner ganzen Schwere wirken. Die kontrollierte Zurückhaltung des konkreten Wortlautes verschärfte die Auseinandersetzung und wurde zum medienwirksamen Zündstoff. Der inszenierte Skandal war greifbar.

Das Stück

„Heldenplatz handelt von einer Familie, jüdischer Herkunft, die während des Naziregimes nach England emigriert. Nach der Rückkehr nach Wien, in den fünfziger Jahren zurück, möchte Hedwig, die Frau von Professor Schuster, so schnell wie möglich wieder nach England zurück, da sie täglich das Geschrei vom Heldenplatz zu hören glaubt, wo 1938 die Menge begeistert Hitlers Einzug feierte. Der Professor begeht aus Verzweiflung über die immer noch fremdenfeindliche und nationalsozialistische Mentalität der Wiener Selbstmord. Hier setzt das Stück ein, das am Begräbnistag dem Bruder des Verstorbenen, seinen Töchtern und der Wirtschafterin reichlich Gelegenheit bietet, sich über das heutige Österreich zu äußern.“

Österreich als Kulisse und Statist –

Willkommen in der Realität!

Ohne Reaktion kein Theater! Nur reflektierte Kunst überdauert die Zeit; Als Spiegel der Zeit zitiert das Kunstwerk die Realität und wird so zum Komplizen einer neutralen Wirklichkeit. Der Kommentar des Angeklagten komplettiert den Akt um auf Höheres zu verweisen und den Ankläger letztendlich zu rehabilitieren. Der Grad der Empörung wird so zur Referenz für Erfolg. Ohne Reaktion also kein Erfolg! Das angeklagte Österreich ist Adressat und Protagonist in Einem. Grotesk leitete der Medienskandal das Stück ein, setzte sich im Kunstraum theatralisch-verklärt fort, und endete dann als „Komödie“ in Skandalgestalt in aller Öffentlichkeit. Österreich als „Statist“ war von Bernhard kalkuliert, kannte er den österreichischen Habitus besser als der sich selbst!

Krämerseelen versus „Verräter“? –

Der „lächerliche Kleinstaat“

Ein Österreicher wagt den Aufstand! Die literarische Anklage war formuliert. Sie musste nur noch medienwirksam installiert werden. Zufrieden war er als „Ankommender und als Verlassender“ nicht; Seine Literatur verschaffte ihm Idyllen im Alltag. Abseits profaner Tagespolitik fühlt er der Obrigkeit auf den Zahn, forderte Gehör aber verweigerte die Auseinandersetzung. Der Skandal als kalkulierte Aufregung. Bewaffnet mit dem Akzent des Skandalösen wurde er zur rauen Stimme des Widerstands gegen verkrustetes Standesdenken und irrationales Nationalbewusstsein. War es bloß profanes Spiel mit medialer Wirklichkeit, mit Mechanismen des Systems oder befand er sich im Labyrinth literarischer Psychohygiene?! Auf jeden Fall befand er sich als Dichter im literarischen Outback. Seine Figuren kreisen im Universum der Gefallenen und sind dennoch Kinder des Triumphs. Thomas Bernhard mochte Musik. Die melodische Rhetorik seiner Literatur wurde zum Ausdruck seiner rhythmischen Opposition. Der absolute Rückzug aus gesellschaftlichen Konventionsmühlen brachte ungeheure Skandalqualität mit sich. Thomas Bernhard zeigte schonungslos und ohne Scham auf die deformierte österreichische Seele, die, von jeglicher Selbstheilungskraft verlassen, im Begriff war ihre Lächerlichkeit zu zementieren. Er kritisierte das zum System gewordene Verdrängen seiner Geschichte. Im Kontext der innerösterreichischen Auseinandersetzung mit der geschichtlich brisanten Anschlussproblematik zur Zeit des Nationalsozialismus war das literarische wirken Thomas Bernhards künstlerisches Echo auf den verhaltenen innerösterreichischen Diskurs.

Der Mensch hinter der Provokation!

Der Leidende mahnt

Thomas Bernhard - Der Nestbeschmutzer

Ein emotionales Konglomerat aus Verzweiflung, Hass, Enttäuschung und Aggression trieb Thomas Bernhard unermüdlich voran. Aufgescheucht durch Verletzung kreiste der literarische Affront Thomas Bernhards um den österreichischen Kleingeist. Ein Österreich ohne klare Kontur, opportunistisch, kleinbürgerlich und nostalgisch verklärt. So empfand Thomas Bernhard den österreichischen Habitus. In einem Interview aus dem Jahr 1983 gibt Thomas Bernhard einen Hinweis: „Die Vergangenheit des Habsburgerreiches prägt uns. Bei mir ist das vielleicht sichtbarer als bei den anderen. Es manifestiert sich in einer Art Hassliebe zu Österreich, sie ist letztlich der Schlüssel zu allem, was ich schreibe.“ Das Thema seiner Literatur war geboren. Der rote Faden: Das Vergangene konservieren, literarisch Verewigen. Reibung und Konfrontation war vorprogrammiert. Was für die einen ein ausgewachsener Skandal, ist für andere lebensnotwendiges „Amüsement“. Feindbild Thomas Bernhards war im Kern die „Gesellschaft“, das Österreich, dass „den Holocaust in Schweigen vergrub“ . Das schamlose Reklamieren des Opferstatus, die Metamorphose von Täter zu Opfer durch bloßen Parteiwechsel stigmatisierte das gesellschaftliche „Restösterreich“ nachhaltig. Sein Hass richtete sich gegen das Verdrängen, das nicht wahrhaben wollen, das rigorose Abwehren des Vorwurfs einer Irrationalen Mittäterschaft. Ein umso schmerzhafterer Vorwurf, weil er vom neutralen Lager des aufrechten Moralismus getragen, in keiner Weise polemisch aufgeladen war, sondern gemessen an Menschlichkeit und Tugendhaftigkeit, zumindest Auseinandersetzung forderte. In diesem gesellschaftspolitischen Gift-Cocktail bestand die Ressource der Bernhardschen Österreich-Anklage. Der Spiegel war stets zur Hand. Er war literarisch dort, wo der vermodernde Gestank der zwiespältigen Krämerseele an die Oberfläche drang. Seine Anklage richtete sich an jenes „Österreich“ das in seiner opportunen Passivität beleidigt um sich schlug;

Boulevardpresse , Aasgeier und Banausen

Die Boulevardpresse, allem voran die „Kronen Zeitung“ sah in der listigen Zurückhaltung die „Gelegenheit“, das Stück zu torpedieren und einzelne Passagen zu verstümmeln. Sie erklärte die kontextlosen, vorab veröffentlichten Textstellen zur persönlichen Meinung des Autors, um das Bild „Thomas Bernhard“ als „Nestbeschmutzer“, Querolant par excellance und Enfant Terrible in der österreichischen Öffentlichkeit zu forcieren und zu bestätigen. Das innerösterreichische Stimmungsklima war am Tiefpunkt. Die Adressaten seiner Kritik stolperten hingegen von einer Falle in die Nächste.

Beschämend war es für Österreich allemal, konnte dem Vorwurf nur wenig entgegengesetzt werden. Politbevollmächtigte erklärten das Stück zur Farce und schrieben es einem krankhaft Wahnsinnigen zu. Ein Verzweiflungsakt, aufgrund der geballten Tatsachenlast. Man forderte die sofortige Absetzung des „Skandalstückes“ und zeigte sich entsetzt über die „skandalösen Diffamierungsattacken“ des österreichischen „Heimatdichters“.

Einige Pressestimmen:

„Die Presse (Hans Haider) vom 11. Oktober 1988 sah in der bevorstehenden Burgtheater-Aufführung von „Heldenplatz“ den Tatbestand einer Beleidigung der Staats-Majestät gegeben und vermutete eine „anarchistische Königsidee“ in Bernhards Stück: Den „Staat und alles was sich für Staatstragend hält, auf dessen Kosten in seinem Staatskunstinstitut mit Unflat zu bombadieren.“

Neuen Kronen Zeitung (Dieter Kindermann) vom 9. Oktober 1988:

„Es ist Aufgabe des Theaters, Unrecht anzuprangern, Mißstände aufzudecken, Heuchelei zu entlarven. […] Thomas Bernhard hingegen fällt in seinem neuen Stück „Heldenplatz“ Pauschalurteile über die Österreicher, die er als Massenmörder, Debile, unverbesserliche Nazis etc. bezeichnet. […] Muß ausgerechnet zum 100. Geburtstag des Burgtheaters, das mit sauberverdienten Steuermillionen subventioniert wird, eine völlig undifferenzierte Österreich-Beschimpfung aufgeführt werden?“

Neuen Kronen Zeitung (Staberl) vom 13.Oktober 1988

„Nicht auf unsere Kosten!“

„Da nimmt also der Direktor unseres Burgtheaters ein Stück an, das nur eine einzige Grundtendenz hat. Nämlich: Österreich ist die Kloake von Europa. […] Österreich ist laut Bernhard ein Land, darin sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige leben. […]

Aber: Herr Peymann wird aus den Steuergeldern jener finanziert, die er so gröblich beschimpfen lässt. Herr Bernhard entnimmt seine Honorare und Tantiemen jenem Säckerl, das von den sechseinhalb Millionen Debilen immer wieder neu gefüllt wird. Zensur und sonstige obrigkeitliche Eingriffe: Nein! Freiheit der Kunst: Ja! Aber dann sollen sich die rüden Herren Peymann & Bernhard mit eigenem Geld ein Theater anschaffen und von dort aus Österreich und seine Bewohner beschimpfen.“

Presse vom 22. Oktober 1988 – Leserbrief

„Wir jedenfalls haben in der Ära Peymann jede Abonnementvorstellung genossen und hoffen sehr, daß Direktor Peymann trotz aller Widrigkeiten dem Burgtheater und seinen vielen Anhängern […] erhalten bleibt.“

Schreiben um zu siegen – Der letzte Akt! –

Verbieten um zu bewahren!

Provokation macht müde. Die Bernhardsche Variante war nicht nur Reaktion auf „Desolates“, sondern notwendige Ursequenz. Sein Wirken war das unermüdliche Streben eines Optimisten am Rande der Hoffnungslosigkeit. Nur selten gelingt dem Literaten der Akt der Lebendigkeit; Das Werk fand über seinen Erschaffer den direkten Ausdruck. Thomas Bernhard erschuf als Visionär und vehementer Querulant, energische Literatur. Mit seinem Tod erlebte sein Werk die literarische Widergeburt. Was von ihm noch bleibt? Das Monument eines tragischen Helden!